"Was 1903 so alles los war!"
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USA beschränken Einreise
Washington, Dienstag, 3. März 1903
Die US-Regierung beschränkt die Einwanderung und verpflichtet die Reedereien zur Mithilfe.
Der Kongress genehmigt das neue Einwanderungsgesetz, das u.a. Verbrecher und Geisteskranke von der Einreise in die USA ausschließt. Reeder werden verpflichtet, Auswanderer nur dann an Bord zu nehmen, wenn entsprechende Fragebögen ausgefüllt wurden.
Gewalt und Terror gegen Juden
Kischinew, Sonntag, 19. April 1903
Gewalt und Terror gegen die jüdische Bevölkerung in Russland lösen internationale Proteste aus.
Hunderte jüdische Bewohner der russischen Stadt werden Opfer des Pogroms. Die Ausschreitungen beginnen am Sonntag des russischen Osterfestes und dauern drei Tage. Es sind die bisher schlimmsten Gewaltakte gegen Juden in Russland.
Nach Bekanntwerden der Greueltaten erhebt sich internationaler Protest. Vor allen Dingen werden den Behörden eklatante Versäumnisse vorgeworfen. Wochen vorher betrieb die einzige zugelassene Zeitung in Kischinew, »Bessarabez«, verstärkt antisemitische Hetze und schürte die antijüdische Stimmung in der christlichen Bevölkerung.
Schon vor dem 19. April wurde die Atmosphäre bedrohlich, so dass Vertreter der jüdischen Gemeinde den Gouverneur um Schutzmaßnahmen baten. Seine Verharmlosung der Situation und die Passivität der Behörden während des Terrors lassen den Verdacht laut werden, dass den Politikern die Ausschreitungen nicht ungelegen kamen. Wie westeuropäische Journalisten vermuten, sollte das Interesse der Bevölkerung von den wirklich brennenden Fragen abgelenkt, die Unzufriedenheit der hungernden Massen auf die Juden gerichtet werden.
Der russische Innenminister Wjatscheslaw K. Plewe nimmt zu diesen Vorwürfen erst nach vier Wochen – nach einer offiziellen Anfrage der US-amerikanischen Regierung – Stellung. Er begründet die »Explosion der Gefühle« mit religiösen Gegensätzen, der Konkurrenz im Gewerbe und damit, dass der rechtgläubige, loyale Russe den Juden hasse, weil dieser »als Sozialist gegen den Zaren wühle«.
Antisemitismus
In dem rückständigen, autokratisch regierten Zarenreich sind den Juden auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch bestimmte Ansiedlungsgebiete und Erwerbszweige vorgeschrieben. Die Hälfte der jüdischen Bevölkerung lebt in den südlichen und westlichen Gouvernements Russlands.
Judenverfolgungen in großem Stil begannen in Russland, als die Regierung im Jahr 1882 das Gerücht verbreiten ließ, die Ermordung von Zar Alexander II. durch Anarchisten 1881 sei von Juden geplant und durchgeführt worden. Hunderttausende wurden Opfer der folgenden Progrome. Zar Alexander III. beschränkte ab 1882 im Rahmen seiner Russifizierungspolitik systematisch die Freizügigkeit der Juden durch Ausnahmegesetze.
Die Vertreibung der Juden aus Moskau 1891/92 bildete den Auftakt zur Emigration in die USA. Die Pogrome zwischen 1903 und 1906 führen zur Gründung jüdischer Selbstverteidigungsorganisationen.
Wiener Werkstätten contra Secessionsstil
Wien, Dienstag, 12. Mai 1903
Viele Künstler wenden sich gegen die Kommerzialisierung im Secessionsstil, der in Deutschland Jugendstil, in Frankreich Art Noveau und in Großbritannien Modern Style heißt.
Der Architekt Josef Hoffmann, der Designer Koloman Moser und der kunstbegeisterte Finanzier Fritz Waerndorfer gründen die Wiener Werkstätte .
Ziel ist die Abkehr von den Massenprodukten des Historismus und auch vom inzwischen kommerzialisierten, gefällig fließenden Secessionsstil. Angestrebt werden neue ästhetische Maßstäbe auf der Basis eines klaren, sachlichen Designs. In ihrem Manifest schreiben die Initiatoren die Einheit der schönen und angewandten Künste fest und betonen die Bedeutung des Materials.
Vorbild ist die englische »Arts-and-Crafts-Bewegung« – eine von William Morris (1834-1896) begründete moderne Kunstgewerberichtung von hohem Niveau.
Mord an Königsfamilie
Belgrad, Donnerstag, 11. Juni 1903
Mit dem Mord an der serbischen Königsfamilie endet auch die Dynastie der ehemals mächtigen Obrenovics.
Offiziere der Armee dringen in den Königspalast, den Konak, ein und ermorden König Alexander I. Obrenovic von Serbien sowie dessen Frau Draga. Gleichzeitig werden die Brüder der Königin und weitere Regierungsmitglieder getötet. Vor allem wegen seiner diktatorischen Herrschaft hatte der König in der Bevölkerung an Ansehen verloren.
Start für erste Tour de France
Paris, Mittwoch, 1. Juli 1903
Mit dem Start zur ersten Tour de France wird die weltweit schwerste und populärste Radrundfahrt begründet.
Im Morgengrauen gegen 3.16 Uhr fällt vor dem Gasthof »Reveille Martin« in Villeneuve-Saint Georges, einem Vorort von Paris, für 60 Fahrer der Startschuss zum längsten Straßenrennen der Welt. Ursprünglich hatten sich 75 Fahrer gemeldet, um bei 10 Franc Startgeld Prämien von insgesamt 20 000 Franc zu kassieren. Der Veranstalter ließ jedoch nur 60 Fahrer zu.
Die Strecke: Insgesamt müssen die Fahrer 2428 km in sechs Etappen mit mehrtägigen Ruhepausen zurücklegen. Von den Etappen misst nur eine weniger als 350 km. Die erste Etappe führt von Paris nach Lyon über 467 km, dann nach Marseille über 374 km, nach Toulouse über 434 km, nach Bordeaux über 268 km, nach Nantes über 425 km und wieder zurück nach Paris über 460 km. Das bislang längste Radrennen Paris-Brest-Paris führte über 1200 km – allerdings nonstop.
Der Sieger : Am 19. Juli fährt der 32-jährige Franzose Maurice Garin vor dem Restaurant »Père Auto« in Ville d'Avray mit zehn Sekunden Vorsprung über die Ziellinie der letzten Etappe der spektakulären Frankreich-Radrundfahrt. Garin wird mit einer Gesamtzeit von 93:29h Gesamtsieger der Tour. Für seinen Sieg erhält Garin, der u.a. schon das große Radrennen Paris-Roubaix gewonnen hat (1897, 1898), eine Prämie von 6000 Franc.
Die Tour erregt in Frankreich riesiges Interesse und gilt als großer Erfolg. In den folgenden Jahrzehnten behauptet sich die Rundfahrt als wichtigstes und schwerstes Rennen.
»Werbegag«
Das ungewöhnliche Radrennen ist vom Sportjournalisten Henri Desgrange als »Werbegag« für seine Zeitschrift »L'Auto« organisiert worden. Der ehemalige Radsportler, der am 11. Mai 1893 mit 35,325 km/h den ersten offiziellen Stunden-Weltrekord fuhr, steht in scharfer Konkurrenz zu seinem Journalisten-Kollegen Pierre Giffard vom »Le Vélo«. Um die stagnierende Auflage des eigenen Blattes zu steigern greift Desgrange eine Anregung seines Redakteurs Geo Lefèvre auf, inspiriert vom Publikumserfolg des New Yorker Sechstagerennens. Am 19. Januar 1903 annonciert »L'Auto«: »Die Tour de France! Die größte Radprüfung der Welt. Ein Rennen über einen ganzen Monat: Paris – Lyon – Marseille – Toulouse – Bordeaux – Nantes – Paris.« Auf die offizielle Ausschreibung der ersten Frankreichrundfahrt melden sich zunächst nur 27 Fahrer. Ständige Aufrufe und direkte Ansprache mobilisieren weitere Fahrer für die Tour.
Erster gesteuerter Motorflug
Kitty Hawk, Donnerstag, 17. Dezember 1903
Ein Meilenstein in der Geschichte der Luftfahrt ist der erste gelenkte Motorflug der Brüder Wright im US-Bundesstaat North Carolina.
In der Nähe des Ortes an der Atlantikküste erhebt sich der Zweidecker der Brüder in die Luft. Es ist nur ein kurzer Flug, er dauert nicht länger als 12 Sekunden und führt nicht weiter als 35 Meter durch die Luft – und doch ist es eine Pioniertat.
Wie Orville Wright es selbst formuliert, ist der Flug » der erste in der Geschichte der Erde, bei dem eine Maschine mit einem Menschen sich selbst aus eigener Kraft in freiem Flug in die Luft erhoben hat, in waagerechter Bahn vorwärts geflogen und schließlich gelandet ist, ohne zum Wrack zu werden.« Diese Tatsache widerlegt eine allgemeine Skepsis gegenüber Flugmaschinen-Projekten, die nach zahlreichen Misserfolgen auch unter Fachleuten weit verbreitet ist.
Anfang des Jahrhunderts geben die Aeronautiker der Entwicklung von Luftschiffen weitaus größere Chancen. Am denkwürdigen Vormittag des 17. Dezember fliegen die Brüder Wright mit ihrem Flugzeug insgesamt viermal. Beim letzten Versuch legt Wilbur Wright 260 Meter zurück und bleibt 59 Sekunden in der Luft.
Bereits am 14. August 1901 gelang Gustave Whitehead der erste Motorflug der Geschichte. Auch Samuel Pierpont Langley aus Washington tüftelte am ersten brauchbaren Motorflugzeug.
Brüder Wright
Aufgrund ihrer systematischen Studien gelten die Brüder Wilbur (*16.4.1867) und Orville Wright (*19.8.1871) als die eigentlichen Pioniere des Motorflugs. Obwohl ohne besondere Schulausbildung, eigneten sie sich gleichermaßen theoretische und praktische Kenntnisse über verschiedenste Sachgebiete an, die sie in der Praxis erprobten. Schon 1889 bauten sie sich eine Druckerpresse und gaben damit eine sehr erfolgreiche Stadtteilzeitung heraus, 1892 eröffneten sie ein Fahrradgeschäft und begannen mit der Fabrikation der »Wright-Special«-Fahrräder.
Berichte von den Flügen des Deutschen Otto Lilienthal weckten ihr Interesse an der Fliegerei. Sie informierten sich umfassend, beobachteten den Vogelflug und starteten erste Flugversuche mit Drachen. Auf ihrem Versuchsgelände testeten sie verschiedene Fluggeräte – zunächst Drachen, dann Gleitermodelle, die sie mit Steuer-Höhenrudern vervollständigten und schließlich das erste Motorflugzeug, dem sie später den Namen »Flyer I« geben. 1904 gelingen ihnen die ersten Kurvenflüge, mit »Flyer III« im Jahr 1905 Streckenflüge bis 45 km. Wilbur Wright stirbt 1912, Orville 1948.
Neue Technik für »Flyer I«
Im Gegensatz zu ihren Vorgängern gelingt es den Brüdern Wright, ihren Flug exakt zu steuern – ein Novum in der Geschichte der Luftfahrt.
»Flyer 1«, der Zweidecker der Brüder Wright, ist 6,40 m lang, wiegt 272 kg, hat zwei Luftschrauben und einen 63,5 kg schweren 12-PS-Motor. Das Flugzeug ist aus Holz, Draht und Stoff gefertigt.
Die Tragflächen haben einen Spannweite von 12,30 m. Die Luftschrauben, die auf Stahlwellen sitzen, bestehen aus Kiefernholz. Den Motor montierten die Wrights auf die untere Tragfläche rechts der Flugzeuglängsachse. Zum Ausgleich machten sie die rechten Tragflächen 10 cm länger als die linken und richteten den Pilotenplatz auf der unteren Tragfläche links seitlich der Längsachse ein. Der Pilot liegt ausgestreckt, bedient mit der linken Hand das Höhenruder und bewegt mit den Hüften das Joch, durch das die Tragflächenverwindung und das Seitenruder betätigt werden.
Die Wirtschaft boomt im Kaiserreich
Donnerstag, 31. Dezember 1903
Nach einer Krise zu Beginn des Jahrhunderts hat sich die wirtschaftliche Lage im Deutschen Reich entspannt. Die Arbeitslosenzahlen sinken, die steigende Produktion vor allem in der Schwerindustrie zieht einen anhaltenden Aufschwung in anderen Bereichen nach sich.
Wirtschaftskraft: Symbol für die beschleunigte Industrialisierung und die Wirtschaftskraft des Kaiserreichs sind die Krupp Werke , die am 1. Juli in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden. Grundlage für das wirtschaftliche Wachstum, das tief greifende Veränderungen im sozialen Leben zur Folge hat, ist der Einsatz modernster Techniken.
Telefunken: Die funktechnischen Studiengruppen von AEG und Siemens schließen sich am 27. Mai in Berlin zur »Gesellschaft für drahtlose Telegraphie« zusammen. Die Telegrammadresse der Gesellschaft, »Telefunken«, wird kurze Zeit später als Name des neuen einheitlichen Funksystems eingeführt. Die Firmengründung ist Folge des sich verstärkenden Konkurrenzkampfes um die führende Stellung im internationalen Nachrichtenverkehr.
Reichstagswahlen: Bei den Wahlen zum Deutschen Reichstag am 16. Juni erringen die Sozialdemokraten 81 Mandate und sind damit – nach dem katholischen Zentrum mit 100 Sitzen – zweitstärkste Fraktion im Parlament. Allein in Berlin sind in fünf von sechs Wahlbezirken SPD-Politiker siegreich. Der Erfolg zeichnet sich bereits im ersten Wahlgang mit 55 sicheren Sitzen für die Arbeiterpartei ab und bestätigt sich während der beiden Stichwahltage am 25. und 27. Juni. Erstmalig wurden in diesem Jahr Wahlkabinen und Wahlkuverts eingeführt. Die Wahlkabinen müssen in jedem Wahllokal vorhanden und von allen Wählern einzeln betreten werden.
Verbrecherjagd: Die Polizeidirektion Dresden führt am 1. März in der Abteilung des Erkennungsdienstes die neue Technik der Identifizierung von Personen über Fingerabdrücke ein, die Daktyloskopie. Das Verfahren unterscheidet die Linien der Finger nach Bogen, Schleifen, Wirbeln und Kombinationen dieser Formen. Sie sind Grundlage für komplizierte Unterteilungen, die in 1024 verschiedene Varianten münden.
Erster Fußballmeister: Der Verein für Bewegungsspiele (VfB) Leipzig ist der erste Deutsche Fußballmeister. Nach dem 7:2-Erfolg im Endspiel gegen den Deutschen Fußballclub (DFC) Prag überreicht der Prager Professor Ferdinand Hueppe, der Vorsitzende des 1900 gegründeten Deutschen Fußball-Bundes (DFB), am 31. Mai den neuen Wanderpokal (»Viktoria«) an die Siegermannschaft aus Sachsen.
Krupp-Imperium
Die 1811 von Friedrich Krupp gegründete Essener Gusstahlfabrik hat insbesondere unter seinem Sohn und Nachfolger Alfred Krupp, der 1826 die Firmenleitung übernahm, einen gewaltigen Aufschwung erlebt und ist inzwischen zum größten deutschen Industrieunternehmen herangewachsen.
Am 1. Juli übernimmt eine Aktiengesellschaft (AG) sämtliche in der Fa. Fried. Krupp vereinigten gewerblichen Unternehmen mit allen Aktiva und Passiva. Mit dieser Verlautbarung wird ein am 22. April notariell abgesicherter Vertrag realisiert und somit auch die testamentarische Verfügung von Friedrich Alfred Krupp erfüllt. Der 1902 verstorbene Enkel des Gründers, Chef des Kruppschen Monopols seit 1887, vererbte die Fabriken an seine 16-jährige Tochter Bertha und ordnete die Umwandlung des Familienunternehmens in eine Aktiengesellschaft an. Bis zur Volljährigkeit Berthas übernimmt deren Mutter Margarethe die Geschäfte der Firma und verwaltet die Aktien. Das Grundkapital der AG wurde auf 160 Mio. Mark festgelegt.
Die Einführung neuer Technologien in der Stahlgewinnung wie das Bessemer- (1862) und das Siemens-Martin-Verfahren (1869) ermöglichten Krupp im 19. Jahrhundert die Massenproduktion von Qualitätsstahl und machten ihn zum führenden Hersteller der Branche. Industrialisierung und Expansionspolitik der europäischen Mächte sorgten für steigenden Bedarf an Roheisen für hochwertige Stahlerzeugnisse u.a. in der Rüstungsindustrie.